... und die Feuerzangenbowle
Robert Irwin, ein englischer Historiker hat in seinem Roman ‚Der arabische Nachtmahr‘ unter anderem das geheimnisvolle Alam al mithal beschrieben, ‚die Welt, die nicht ist aber sein könnte‘, mit anderen Worten das Reich der Träume oder der Phantasie. In meinem Krimi ‚Rick’s Welt‘ habe ich darauf Bezug genommen.
Ich finde dieses Konstrukt, ein Phantasiegebilde als Welt zu sehen, wirklich faszinierend. Unter anderem, weil ich als Autor in der Lage bin, solche Welten zu schaffen, nach meinem Gutdünken oder zumindest nach dem, was in meinem Kopf ist. Und ich kann diese Welten teilen, indem ich sie veröffentliche. Die Welten, die ich dargestellt habe, existieren von da an unabhängig von meinen Gedanken, in einer kollektiven Erinnerung, und möglicherweise verändern sie sich dann sogar noch.
Natürlich tut man so etwas nicht ungestraft. Es ist ja nichts weniger als die Anmaßung der Göttlichkeit.
So war Rick ganz folgerichtig dem Wahnsinn nahe, als er sich mit einem Mal mit dem konfrontiert sah, was er zuvor erdacht hatte. Auch im Focaultschen Pendel von Umberto Eco wendet sich die erfundene Fortführung der Geschichte der Templer gegen ihre Initiatoren. Und selbst Conan Doyle wurde hart bedrängt, als er Sherlock Holmes aus Überdruss sterben ließ, er musste schließlich weitere Folgen schreiben und den Tod seiner Figur rückgängig machen.
Das alles ist nun bei mir nicht der Fall, dennoch bleibt ein Unbehagen über die Faszination, welche das Alam al mithal auf mich ausübt. Zum einen ist das Verweilen dort, während ich schreibe, teilweise so intensiv, dass es einer Scheinerinnerung gleich kommt, die dann gehörig an meinem Realitätssinn rüttelt. Zum anderen stellt sich auch die Frage nach der Funktion dieses Verweilens. Natürlich ist es eine Flucht aus der Realität, ähnlich wie es bei dem Film ‚Die Feuerzangenbowle‘, welche in Berlin gedreht wurde, während ringsum bereits die Bomben fielen, mit Schauspielern, die nur deshalb noch nicht an der Front waren, weil sie für diesen Film gebraucht wurden. Es liegt mir fern, so eine Flucht zu verurteilen, ist sie doch nur allzu menschlich.
Man kann auch darüber philosophieren, ob dieser Rückzug nun durch seine dämpfende Wirkung eine Verbesserung der realen Umstände – welche ja den Leidensdruck erzeugen – verhindert und deshalb den Missstand erhält. Ich weiß es nicht. Ich gehe davon aus, dass der Mensch insgesamt viel klüger ist als sein Verstand und sehr wohl weiß, wann er opponieren und wann er einfach aushalten muss.
Mein Problem ist aber ein anderes: Ich bin nicht in der Lage zu dosieren. Beginne ich zu schreiben, dann saugt die Geschichte mich auf, und ich muss sie schnell zu Ende bringen.
Da meine anderen beiden Leben, Familie und Beruf jedoch weiterlaufen, entsteht dadurch eine Belastung, die eigentlich nicht zu bewältigen ist. Ich muss 2-3 Stunden am Stück schreiben, und ich muss es im Tagesabstand tun, sonst reißt der Faden, der mich mit dem Alam al mithal verbindet.
Und so sitze ich wie ein Säufer auf Entzug und heule die Flasche an, die ich nicht trinken darf.
Auf der anderen Seite macht sich eine vielleicht fatalistische Gelassenheit in mir breit. Vielleicht kann das Alam al mithal ja warten? Lassen wir uns einfach überraschen.
Zudem: Mit drei unveröffentlichten Büchern im Rücken ist mein Schmerz anderen vermutlich nur schwer vermittelbar…