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Ma
Scheinprominenz in der Parallelwelt
12.05.2013 13:48

Seit 2004 bin ich in der Szene unterwegs, auch - und als Schreiber vor allem - in der virtuellen. Anfänglich habe ich die Internetforen noch als Brunnen wahrgenommen, in den man anonym seine diskretesten Gedanken hineinrufen kann.
Heute ist das längst nicht mehr so. Inzwischen haben der Nick und die dahinterstehende Selbstdarstellung einen wie auch immer geart...eten, zumindest gefühlten Marktwert. Man kann das recht gut daran erkennen, dass Internetprominente für – Entschuldigung – Hirnpupse oder Debilschnappschüsse Ovationen einfahren, die ein noch dümmeres Publikum vermuten lässt.
Doch wenn ich eines im Leben gelernt habe, dann ist es dieses: Die Leute sind nicht dumm. Sie verhalten sich nur manchmal, als wären sie es. Und das selten ohne Grund.
In dem beschriebenen Fall unterstelle ich den Tanz um das goldene Kalb der gefühlten Prominenz.
Das alles ist nett und auch harmlos, wenn auch durchaus mit Energie und heimlichen Ellbogen betrieben, es ist ja, bis auf die wenigen Kleingewebebetreibenden, nur ‚second life’.

Schlimm daran ist etwas ganz anderes:
Die beschriebene Selbstdarstellung ist mediengebunden. Der Nick, das PROFIL ist eine Datensammlung in einem fremdbetriebenen Kommunikationsmittel, einem Forum wie beispielsweise FB oder die SZ. Der Nick, sozusagen der Markenname der Selbstdarstellung, macht den User vom jeweiligen Unternehmen abhängig, zwingt ihn, sich willkürlich gesetzten Regeln zu beugen, bisweilen sogar Unternehmensziele gegen die eigene Ideologie mitzutreiben, um seine gefühlte Wichtigkeit und seine Fans nicht zu verlieren.

Es ist der blanke Wahn: Wir leben in einem Land mit weitgehenden Bürgerrechten. Das ist gut so, denn Auswandern wäre im Falle des Nichteinverstandenseins ein riesiger Schritt für den Einzelnen.
Wir arbeiten in Firmen, die unsere Bürgerrechte während der Arbeitszeit wesentlich beschneiden, aber hier gibt es Vereinbarungen und Gesetze, die uns schützen, wie ich meine, einigermaßen ausreichend. Denn ein Firmenwechsel ist noch mehr oder weniger einfach möglich, auch wenn die existenzielle Absicherung dadurch gefährdet werden kann.
Ja, und in unserer Freizeit begeben wir uns in einen weitgehend rechtlosen Raum mit willkürlichen, absolut undemokratischen Regeln, wo wir gegängelt werden, mundtot gemacht, gezwungen werden, fremde Liedchen zu singen – und alles nur, weil der Betreiber die Geißel unserer Selbstdarstellung in seiner Gewalt hat.
Dabei ist die Freiheit nur ein Mausklick entfernt…

Ganz offen, für mich haben die derzeitigen Vorgängen in der SZ durchaus eine politische Dimension: Sie zeigen in einer erschreckenden Offenheit, was die Menschen heute bereit sind an Undemokratie zu ertragen ohne aufzubegehren. Und man erzähle mir nicht, das Forum sei für die User so unwichtig, dass es sich nicht lohne sich zu wehren. Viele verbringen ihr halbes Leben dort, melden sich ab und wieder an, kriechen zu Kreuze um wieder mitmachen zu dürfen.
Wir sind zu einer Gesellschaft von Duckmäusern verkommen. Der Gedanke, dass das politisch in dem hier vorliegenden Ausmaß erkannt werden könnte, macht mir Angst.

‚Alam al mithal‘
Ode an die Wichsvorlage

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